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Elternarbeit

„Sehbehindert oder blind, stört kein Kind!”

Ein Projekt in Zusammenarbeit mit unserer Eltern-Kind-Gruppe und Sophie Heinicke während ihres Praktikums in der ABSV-Geschäftsstelle, gefördert von der AOK Nord Ost.

Medien

Podcast-Reihe

Im Rahmen des Projektes ist eine vierteilige Podcast-Reihe entstanden. Alle Folgen gibts hier zum Hören:

Eltern-Kind-Podcast Folge 1
Eltern-Kind-Podcast Folge 2
Eltern-Kind-Podcast Folge 3
Eltern-Kind-Podcast Folge 4

Drucksachen

Flyer
Herz mit QR-Code

Inhalt des Projekts

Kinder von Eltern mit Sehbehinderungen lernen früh, dass es mehr als eine Art gibt die Welt zu erleben. Da gibt es Fragen von Seiten potentieller Eltern, der eigenen Kinder, anderer Kinder, Eltern und auch Fachkräften.

Ein selbstbestimmtes und glückliches Leben und das blind mit Kind, ist mehr als möglich. Ob mit oder ohne Behinderung, für das Kind sind die eigenen Eltern die Größten und Besten. Für sie ist es wichtig sich das auch immer wieder zu sagen.

Wir sind mehr als die Behinderung

„Wie macht ihr denn das? Wie wollt ihr denn das schaffen?“, „Habt ihr euch das mit dem Kind wirklich gut überlegt? Ihr seid doch blind.“

Blindheit und Sehbehinderung zählt zu den Merkmalen die leicht ersichtlich sind und auf welche Betroffene nicht selten reduziert werden.

Die engagierten Eltern der Berliner Eltern-Kind-Gruppe zeigen Ihnen, wie sie schwierige Situationen bewältigt haben und mit solchen Fragen/Reaktionen umgegangen sind.

Eltern sein heißt nicht alles zu wissen und perfekt umzusetzen, sondern sich selbst zu vertrauen, zu handeln und bei Bedarf auch Unterstützung zu suchen.

Medien: Podcast-Reihe und Drucksachen

Podcast-Reihe

Im Rahmen des Projektes ist eine vierteilige Podcast-Reihe entstanden. Alle Folgen gibts hier zum Hören:

Eltern-Kind-Podcast Folge 1
Eltern-Kind-Podcast Folge 2
Eltern-Kind-Podcast Folge 3
Eltern-Kind-Podcast Folge 4

Drucksachen

Flyer
Getränkedeckel

Blind mit Babybauch

Der Wunsch nach einem kleinen Wesen, was man fest im Arm hält und am liebsten nie wieder loslassen würde, ist bei vielen Menschen vorhanden. Dabei ist es egal ob die entsprechenden Personen eine Sehbehinderung haben oder nicht. Wenn der Test denn dann ein positives Ergebnis zeigt ist die Freude oft groß. Gedanken überschlagen sich: Ist mein Kind gesund? Wem erzähle ich es zuerst? Wo soll ich anfangen? Was muss ich noch besorgen?

Erste Frage: Ist mein Baby gesund?

Bei einer Sehbehinderung spricht grundsätzlich nichts gegen eine Schwangerschaft. Mögliche Risiken und das Vorgehen in der Schwangerschaft sollte natürlich immer individuell mit dem/der entsprechenden Arzt/Ärztin besprochen werden. Allgemein gilt aber, dass bei der Geburt die Presswehen im Allgemeinen nicht das Risiko für Risse in der Netzhaut oder für Blutungen in den Augen erhöhen. Eine Sehbehinderung ist daher auch kein Grund für einen Kaiserschnitt.

Bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme sollten Frauen mit einer Sehbehinderung, wenn möglich schon vor der Schwangerschaft, alle notwendigen augenärztlichen Kontrollen machen lassen. Dort sollte besprochen werden, ob die Medikamente während der Schwangerschaft und Stillzeit unverändert eingenommen werden können.

Wer eine genetische Erkrankung hat, wie es bei der Retinopathia Pigmentosa der Fall ist, der kann sich und seinen Partner bei einem Kinderwunsch auch human-genetisch untersuchen lassen. Dies ist unter anderem in der Charité Berlin möglich.

Zweite Frage: Wem erzähle ich es zuerst?

Mit dem positiven Schwangerschaftstest fängt alles an. Es ist für viele Frauen einer der emotionalsten Momente, den sie gern für sich allein erleben wollen. Als blinde Frau funktioniert das nicht ohne Hilfe. Es gibt zurzeit noch keinen Schwangerschaftstest der akustisch oder taktil anzeigen kann, ob das Ergebnis positiv oder negativ ist. In Großbritannien wird zwar an der Entwicklung eines Tests geforscht, welcher das Ergebnis taktil anzeigen soll, jedoch ist dieser noch nicht Marktfähig.

Viele andere Frauen möchten in diesem Moment aber auch nicht allein sein. Sie haben natürlich immer die Möglichkeit den Test mit dem sehenden Partner bzw. der Partnerin oder mit einer anderen vertrauten Person zu machen. Um hundert Prozent sicher zu sein, kann man aber auch zu seiner Frauenarztpraxis fahren und dort einen Urintest durchführen lassen.

Bei der ersten Vorsorgeuntersuchung stellt die Frauenärztin oder der Frauenarzt dann den Mutterpass aus. Im Mutterpass dokumentieren die Ärztin/der Arzt und die Hebamme alle wichtigen Daten über den Verlauf der Schwangerschaft. Es ist wichtig den Mutterpass immer mit sich zu führen, da diese Angaben sind für die Geburt oder im medizinischen Notfall wichtige Informationen sind. Das Problem an dem Pass ist, dass dieser nicht digital oder in Brailleschrift verfügbar ist, sondern handschriftlich geführt wird. Es ist daher ratsam sich alle wichtigen Informationen und Angaben noch einmal als Sprachnotiz oder schriftlich auf dem Smartphone abzuspeichern.

Dritte Frage: Wo soll ich anfangen?

In der Schwangerschaft stellt sich eine Frage nach der nächsten. Daher ist es wichtig sich frühzeitig nach Menschen umzuschauen welche nicht nur Fachkenntnisse aufweisen, sondern auch praktische Erfahrungen haben, aber am wichtigsten: Zeit. Neben der Frauenärztin oder dem Frauenarzt kann das vor allem eine Hebamme sein – am besten eine sogenannte Beleghebamme.

Beleghebammen arbeiten freiberuflich. Sie haben meist mit einem bestimmten Krankenhaus eine Vereinbarung den dortigen Kreißsaal nutzen zu dürfen. Der Vorteil ist, dass Schwangere während der Geburt von ihrer vertrauten Hebamme begleitet werden, die sie während der Schwangerschaft kennengelernt haben. Die Hebamme kennt somit bereits die Wünsche und Sorgen in Bezug auf die Geburt und kann sie besprechen bzw. auf diese Rücksicht nehmen. Die Beleghebamme ist während der Geburt nur für die Mutter da und kann nach der Geburt auch die Wochenbett-Betreuung (Nachsorge) übernehmen.

Steht keine Beleghebamme zur Verfügung, ist es sehr zu empfehlen, frühzeitig Kontakt mit dem Kreißsaal-Team der ausgewählten Geburtsklinik aufzunehmen. Hier können sie sich Informationen über den Ablauf im Kreislauf einholen und sich schon einmal vorweg mit den Räumlichkeiten vertraut machen. Sollte ein Kaiserschnitt notwendig werden, kann besprochen werden, was dabei beachtet werden muss.

Wenn es in der Schwangerschaft keine Komplikationen gibt, kann das Baby auch in einem Geburtshaus oder zu Hause zur Welt gebracht werden – genauso wie bei sehenden Eltern.

Tipp: Die meisten Hebammen und Krankenhäuser bieten Geburtsvorbereitungskurse an, in denen man sich auf die Geburt vorbereiten kann. Das kann die Schwangere entweder allein oder zusammen mit ihrem Partner.

Besprochen werden Themen wie:

  • Woran merke ich, dass die Geburt anfängt?
  • Wie verläuft eine Geburt?
  • Welche Geburtsarten gibt es?
  • Wie kann ich trotz der Schmerzen entspannen?
  • Was hilft gegen die Schmerzen?
  • Wann muss ein Kaiserschnitt gemacht werden?
  • Wie kann mich mein Partner unterstützen?

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen für die Schwangere die Kosten des Kurses. Wenn der Partner/die Partnerin ebenfalls an dem Kurs teilnimmt, muss er/sie das in vielen Fällen selbst bezahlen. Inzwischen übernehmen jedoch immer mehr Krankenkassen die Kosten für werdende Väter, sodass es sich lohnt bei der Krankenkasse einfach nachzufragen.

Vierte Frage: Was muss ich noch besorgen?

Für blinde und sehbehinderte Eltern gibt es eine Hand voller Hilfsmittel, die sich bei der Versorgung eines Babys bewährt haben.

Hier nur einige dieser Alltagshelfer:

  • ein Farbscanner oder eine Farbscanner-App
  • ein sprechendes Fieberthermometer
  • ein Messbecher mit fühlbarer Skala und/oder eine sprechende Waage
  • ein Strichcode-Lesegerät
  • ein Tropfenzähler, falls ein Medikament in Tropfenform gegeben werden muss
  • ein Tragegurt

und natürlich alles was andere Mütter auch benötigen, wie einen Wickelplatz, Bettchen und so weiter.

Ein Kinderwagen kann natürlich gekauft werden, ist aber unpraktisch, wenn man allein mit dem Kind unterwegs ist. Blindenstock und Kinderwagen lassen sich schwer vereinen. Mit dem Tragetuch ist das kein Problem. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass durch das Tragen am Körper die Eltern-Kind-Bindung noch einmal verstärkt wird. Das Kind spürt die Wärme, den Herzschlag und riecht den Duft. Wer möchte sein Kind da noch anders transportieren.

Die erste Zeit mit dem Baby

Wenn sich eine Mutter dazu entscheidet, im Krankenhaus zu gebären, bleibt sie nach der Geburt meist für ein paar Tage auf der Wochenstation. Hier kann sie sich von der anstrengenden Geburt erholen und dabei die Gewissheit haben, dass das Baby gut versorgt wird. Unabhängig davon haben gesetzlich-versicherte Frauen nach der Geburt zwölf Wochen lang einen Anspruch auf die Unterstützung einer Hebamme. Bei Bedarf kann dies aber auch noch länger sein. In der Regel macht die verantwortliche Hebamme bis zum zehnten Tag nach der Geburt täglich Hausbesuche. Im Anschluss wird ein individueller Plan entworfen. Die Hebamme unterstützt Mutter und Kind und gibt hilfreiche Tipps für das Stillen des Säuglings und die Babypflege.

Bei Bedarf kann auch eine Rehabilitationslehrerin bei der Krankenkasse oder dem zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden. Durch ein gezieltes Training der lebenspraktischen Fähigkeiten (LPF) kann Eltern geholfen werden, mit den neuen Anforderungen in der Babypflege und im Haushalt zurechtzukommen. Wichtig ist hier noch einmal zu erwähnen, dass Hilfe zu beantragen keine Art von Versagen oder Schwäche ist, sondern als vernünftig und verantwortungsbewusst zu werten ist.

Die meisten Artikel über das Thema Kinderwunsch und -pflege beziehen sich auf den Umgang von Müttern mit ihrem Nachwuchs. Fakt ist jedoch, dass beide Elternteile Zeit brauchen, ihr Baby richtig kennenzulernen.

Die Fragen sind bei allen Eltern da, ob mit oder ohne Sehbehinderung: Wann braucht das Kind Ruhe? Wann mag es interagieren? Wann braucht es die Brust oder die Flasche? Wie beruhige ich mein Baby am besten? Das alles und noch vieles mehr müssen frisch gebackene Mütter und Väter erst noch herausfinden. Und zum Glück helfen Kinder dabei: Mit Reaktionen zeigen sie, was es wann und wie am besten haben möchte.

Um werdenden Eltern aber schon einmal einige Ängste und Sorgenfalten zu nehmen, kommen nun einige Tipps:

In der Ruhe liegt die Kraft, also immer mit Geduld
Gerade am Anfang, wenn noch alles neu und anders ist, kann es sein, dass Eltern im Bemühen alles perfekt zu machen denken, dass sie zu langsam sind. Infolge dessen probieren sie es schneller und es geschehen Fehler. Das Kind schreit und hat Hunger, man ist übermüdet und der Haushalt muss auch noch gemacht werden. Gerade in solchen Momenten wachsen die Zweifel. Nun kommt noch die Sehbehinderung dazu.
Bleiben sie ruhig und setzen sie sich auch einfach mal hin. Es ist nichts gewonnen, wenn sie kaputt auf dem Zahnfleisch krauchen. Die Zeit mit dem eigenen Kind ist, wenn auch sehr stressig, eine der schönsten im Leben. Sie haben ein Lebewesen geschaffen, welche sie wohl für das wichtigste und wundervollste Wesen der Welt hält. Wenn ihr Kind das glaubt, sollten sie das auch. Dann dauert das Essen halt mal zehn Minuten länger und die Wäsche wird erst morgen fertig. Die Hauptsache ist, dass es ihnen und ihrem Baby gut geht.

Ach ja und nur Mut! Mit etwas Übung und Zeit bekommen Sie in vielen Dingen wie dem Baden oder Wickeln eine gewisse Routine. Wenn die Unsicherheit vergeht und ihr Kind Sie anlacht, ist es dann auch völlig irrelevant, ob Sie für den einen oder anderen Vorgang etwas mehr Zeit benötigt haben.

Blind beschriften

Es ist immer hilfreich zu wissen was man in der Hand hat, aber vielleicht noch wichtiger, was die Kleinen gerade vorhaben in die Hand bzw. den Mund zu nehmen. Wie heißt es so schön: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Daher sollten Eltern mit Sehbehinderungen wichtige Dinge wie Medikamente oder die Baby-Gläschen ruhig mit Brailleschriftaufklebern oder anderen Hinweisen markieren.

Es kann sehr praktisch sein wichtige Anleitungen und Hinweiszettel in Braille zu übertragen. Natürlich kann man auch immer einen Scanner nutzen, jedoch muss es gerade im Alltag von Eltern manchmal schneller gehen, sodass ein vorgeschriebener Zettel einfach Zeit und Mühen spart.

Wenn das Kind dann woanders hingeht, sei es zu den Großeltern oder in die Krippe, ist es von Vorteil die Kleidung und auch das Lieblingskuscheltier in einen wiedererkennbaren Beutel zu stecken. Gerade in öffentlichen Einrichtungen kommt es immer wieder vor, dass Dinge verschwinden und das nicht, weil jemand sie geklaut hat, sondern die Sachen in den Garderoben kreuz und quer lagen. Hier kann man das Fachpersonal fragen, ob sie denn etwas darauf achten könnten, dass die Dinge des Kindes in der entsprechenden Tasche sind. Aber selbst wenn das nicht immer klappt, zeigt die Erfahrung, dass viele verloren-geglaubten Dinge wieder in der Fundkiste auftauchen.

Geschichtsstunde

Viele Studien haben wesentliche Vorteile des frühen Lesens für die Entwicklung von Kindern bewiesen. Das ist bei Kindern blinder und sehbehinderter Eltern nicht anders. Um dies zu ermöglichen gibt es alternative Techniken, die es sehbehinderten Eltern ermöglichen, ihren Kindern vorzulesen.
Wer die Brailleschrift beherrscht kann bei verschiedenen Läden und Büchereien Geschichten und Bücher kaufen oder auch ausleihen. So gibt es auch im Hilfsmittelladen des ABSV einige Angebote für interessierte Eltern, Kinder und alle weiteren Leseinteressierten. Auch die blista hat ein großes Angebot an Kinder- und Jugendliteratur, welches sie regelmäßig erweitert.
Auch die OrCam kann eine Möglichkeit sein sich Literatur zugänglich zu machen. Durch das steuern durch eigene Gesten können Texte vorgelesen über eine kleine Kamera an einer Brille vorgelesen werden. Die Eltern können die Erzählungen dann in eigenen Worten oder Satz für Satz wiedergegeben werden.

Schmecken, Tasten, Riechen, Vertrauen

Was macht das Kind da eigentlich? Durch einen prüfenden Blick sehender Eltern kann dies meist leicht geklärt werden. Bei Eltern mit Sehbehinderung könnte nun die Sorge aufkommen, dass die es nicht mitbekommen würden, wenn denn dann etwas passiert. In der Realität lässt sich das ebenfalls schnell auflösen. Indem man die eigenen Kinder berührt, lässt sich leicht sagen, was sie halten, was sie essen und welchen Unfug da eigentlich gerade anrichten. Je nachdem was Kinder gerade essen oder ob die Hose gerade auch voll ist, das kann man riechen und gezielt reagieren. Auch die Ohren sind hilfreich. An sich sind Kinder selten leise: sie strampeln, trampeln, krabbeln, rennen und hüpfen. Wer mag kann aber an den Schühchen noch kleine Glöckchen anbringen. So kann man auch auf Teppichboden die Wege akustisch gut nachvollziehen.

Anders sein ist völlig normal

Eltern mit Besonderheiten, also einer Behinderung, eines gewissen finanziellen Status oder auch mit besonderen Lebenssituationen, sie alle wollen nur eins: eine normale Kindheit für das eigene Kind. Aber was ist denn normal? Jedes Kind welches in einer liebevollen Umgebung, mit Eltern die sich um es sorgen, hat Glück und dabei ist es völlig nebensächlich ob die eigenen Eltern nun „normal“ sind oder nicht. Mit dem Wissen aufzuwachsen, dass selbst ohne den Sehsinn doch so viel möglich ist, ist nicht schlecht. Oft machen sich Eltern mehr Gedanken als es Kinder je könnten. Kinder leben das was ihnen ihre Eltern vorleben.

Auch wenn die Eltern die Welt nicht so wahrnehmen wie ihre Kinder, heißt es noch lange nicht schwarz zu sehen. Alle Eltern, Mütter wie Väter, mit oder ohne Sehbehinderung, sie alle haben die Möglichkeit die Welt ihrer Kinder mit Liebe und Glück zu erhellen. Alles andere kommt von ganz allein.

Eltern sein mit Sehbehinderung

Wenn einem im öffentlichen Raum ein blindes Elternteil mit Kind begegnet, steht den meisten die Verwunderung regelrecht ins Gesicht geschrieben: „Wie soll das gehen?“ Diese und viele weitere Fragen sind Alltag aller Eltern mit Sehbehinderung. Wir geben euch auf einige dieser Antworten. Gerade unsere Kleinsten sind manchmal schneller als man denkt. Da kommen selbst sehende Eltern schwer hinterher. Aber ist das Sehvermögen wirklich so ausschlaggebend?

Eltern sollten: Verantwortungsbewusst sein, Vertrauen in sich selbst und in das Kind haben, gute Nerven und Humor besitzen. Bei sehbehinderten oder blinden Eltern kommt noch eine große Portion Kreativität dazu. Für so manche Situation im Alltag, die für andere scheinbar ganz einfach zu lösen ist, müssen sie sich etwas einfallen lassen. „Wie schneide ich meinem Kind die Nägel?“ – eine vieler Fragen bei denen so mancher ins stocken gerät- Wichtig ist zu erkennen, dass man nicht allein ist.
Wie heißt es so schön: alles ist möglich und erst recht, wenn es um das eigene Kind geht.

Es gibt viele Mütter mit Behinderungen die ihre Kinder groß bekommen haben und auch gerade dabei sind. Um sich gemeinsam zu unterstützen, Tipps und Tricks auszutauschen oder auch einfach gemeinsam zu spielen, dafür gibt es im ABSV die Eltern-Kind-Gruppe.
Aber natürlich ist zweifeln menschlich. Viele Fragen stellen sich auch Mütter ohne Behinderung, z.B. das mit den Fingernägeln. Wenn man das erste mal so ein kleines Wesen in den Armen hat, müssen alle Eltern, ob mit oder ohne Behinderung umdenken.

Intuition ist eine der wichtigsten Eigenschaften aller Eltern
"Wenn sehende Mütter kurz gucken, was das Kind gerade so treibt, setze ich eher mein Gehör ein oder fühle, was Hannah gerade in der Hand hat, wenn ich mir nicht sicher bin, ob sie vielleicht doch beispielsweise ein Messer vom Frühstückstisch ergattert hat." – Birgit Schopman, Diplom Sozialpädagogin

Wer kennt sie nicht, die verdächtigen Momente, in denen Kinder auf einmal so außergewöhnlich still sind – da ist dann meistens etwas im Busch. Wo bei sehenden Müttern ein prüfender Blick vielleicht reicht, behelfen sich Eltern mit Sehbehinderungen ihrer restlichen Sinne. Da ist Intuition und Aufmerksamkeit gefragt.

Wenn die Windel voll ist, kann man das riechen. Wenn das Kind weint, könnte es sein, dass es Hunger hat. Je älter sie werden, desto höher wird natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder einem ihren Wunsch oder ihr Leiden auch verständlich sagen. Der Tastsinn ist auch äußerst informativ, um herauszufinden wo denn nun der Nachtisch überall gelandet ist.

Eine ganz eigene Sprache

Als besonders schwierig sehen einige Außenstehende den fehlenden Blickkontakt zu dem Baby. Gerade in den ersten Jahren kommuniziert der Nachwuchs viel nonverbal. Das kann so manches Mal auch dazu führen, dass Kind und Eltern sich missverstehen oder irritiert sein können. Lange bevor die eigentliche sprachliche Kommunikation beginnt, finden Eltern und Kind aber andere Formen der Verständigung. Schreien ist nur eines der vielen Tricks die unsere Kleinsten beherrschen um sich Gehör zu verschaffen. Durch lustige Geräusche, dem Klappern mit Gegenständen oder auch einfach durch das in die Hand drücken, wissen blinde und sehbehinderte Eltern auch was ihre Kinder wollen.

Manchmal geht es nicht ohne die Hilfe Sehender

Es kommt der Moment, da muss jedes Elternteil akzeptieren, dass gewisse Dinge Unterstützung bedürfen und wer kann das besser nachvollziehen als wir. Gerade wenn die Kinder noch sehr klein sind, kommt es immer wieder vor, dass Kinder Gefahren unterschätzen bzw. diese gar nicht erst erkennen. In der eigenen Wohnung kennt man sich aus und kann vieles soweit absichern. Im Straßenverkehr geht das nicht so leicht. Auch das Thema Hausaufgaben kann schnell zu Schwierigkeiten führen. Dann ist man auf Hilfe angewiesen.
Je nachdem wie die Situation ist, ob ein sehender Partner, Familie oder Freunde zur Hand sind, können diese natürlich unterstützen. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit einer Elternassistenz. Viele Eltern scheuen sich jedoch diese Hilfe anzunehmen. Zu groß ist die Angst, dass die Beantragung der Hilfe als Versagen gesehen wird und die Behörden aktiv werden könnten. Dabei ist das bewusste Entscheiden für Unterstützung, ob familiär oder von professioneller Seite, keinesfalls ein Zeichen von Schwäche – im Gegenteil.

Ein Kind bleibt ein Kind

Wenn Kinder merken, dass ihre Eltern irgendwie anders sind als andere, dann ist das kein schlechtes Zeichen. Kinder vergleichen und suchen Muster, woraufhin dann Fragen folgen können. Für die Kinder von Eltern mit Sehbehinderungen ist ihr Leben die Normalität und ihre Eltern das Beste. Da haben sie auch verdient, dass man sich immer wieder selbst daran erinnert.
Fragen haben aber nicht nur die eigenen Kinder. Auch andere Kinder und sogar Eltern und Fachkräfte stellen immer wieder Fragen und das oft nicht an die entsprechende Person, sondern an die Kinder. Um das Kind etwas zu entlasten, kann man dem Kindergarten oder anderen Einrichtungen eine Fragestunde anbieten. In dieser könnten alle interessierten Erwachsenen und Kinder ihre Fragen auch der richtigen Person stellen.
Kinder mit betroffenen Eltern lernen von klein auf, dass es mehr als eine Art gibt die Welt zu erleben. Wie alle Kinder versuchen sie ihre Grenzen zu testen und ihre blinden bzw. sehbehinderten Eltern auszutricksen. Eine zusätzliche Süßigkeit hier, eine Unterschrift auf dem schlechten Test da.

Auf der anderen Seite möchten viele Kinder aber auch immer wieder helfen. Sie fühlen sich gern in ihre Eltern ein und das ist auch in Ordnung bis zu einem gewissen Punkt. Es ist nicht ihre Aufgabe für ihre Eltern zu sorgen. Das Kind hat ein Recht auf ein eigenes Leben und ist daher weder Vorlesegerät noch zweibeiniger Blindenführhund.

Für einen entspannteren Alltag

Vorweg, als Eltern hat man immer zu tun, aber das macht man ja auch gern. Um etwas souveräner in bestimmte Situationen zu gehen gibt es aber einige Möglichkeiten. Bei Problemen im Alltag mit und ohne Kind, haben Eltern die Möglichkeit Fertigkeiten im Training für Lebenspraktische Fähigkeiten zu erlernen. Für Schwangere gibt es auch die Möglichkeit die Babaypflege vorab mit einer Trainerin bzw. einem Trainer auszutesten. Zusätzlich gibt es zahlreiche Hilfsmittel, die blinden Eltern den Alltag mit einem Kind erleichtern. Mittlerweile gibt es viele klassische Spiele wie "Uno" oder "Mensch, ärgere dich nicht!" als Versionen für blinde und sehbehinderte Spieler. Für Draußen gibt es Bälle, die mit Klingeln versehen sind, damit man hört, wohin sie fliegen und rollen. Und natürlich gibt es auch Bilderbücher mit Blindenschrift. Für Kinder die ebenfalls eine Seheinschränkung haben produziert der DBSV Tastbücher, die in Handarbeit hergestellt werden. Durch die OrCam können auch Geschichten aus Büchern mit Schwarzschrift erzählt werden.

Wichtig ist aber wie bereits erwähnt der Austausch mit anderen blinden und sehbehinderten Eltern. So bekommt man zahlreiche Tipps für den Alltag und kann über gewisse Fragen und Probleme reden.

Elternassistenz

Die Pflege und Erziehung des eigenen Kindes ist ein Grundbedürfnis von Eltern. Das bezieht selbstverständlich auch Eltern mit Sehbehinderung mit ein. Es gibt Menschen denen es unverständlich ist, dass blinde und sehbehinderte Menschen Kinder bekommen. In öffentlichen Foren findet man vielfach bedenkliche Äußerungen zur Fürsorgepflicht und der befürchteten Gefährdung des Kindeswohls. Aus persönlichen Gesprächen mit betroffenen Müttern geht hervor, dass einige von ihnen bereits Besuch vom Jugendamt hatten. Infolge dessen haben Eltern oft Angst ihre Kinder in andere Obhut geben zu müssen. Gemäß des Grundgesetzes, Artikel 6 Abs. 2 und 3, haben Eltern den Anspruch auf die persönliche Betreuung und Versorgung ihrer Kinder im eigenen Familienhaushalt.
Die Bindung zu den eigenen Eltern ist wichtig für die förderliche Entwicklung von Kindern. Deshalb ist die Ermöglichung der Verantwortungsübernahme von schwerbehinderten Eltern für ihr Kind ein zentraler Faktor für die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

Wer Elternassistenz beantragt hat nicht zwangsläufig Probleme bei der Versorgung und Betreuung des Kindes. Es ist möglich ein Leben ohne Hilfe zu führen, das heißt aber nicht, dass blinde und sehbehinderte Eltern keinen Anspruch auf Elternassistent haben. Der Bedarf der Elternassistenz wird dabei an den Eltern festgemacht und nicht an dem des Kindes.

Es ist bekannt, dass einige Eltern keine Elternassistenz aus dem Gedanken heraus beantragen, dass zuständige Ämter von defizitären Lebensbedingungen ausgehen könnten. Dies würde einer Diskriminierung gleich kommen. Es ist paradox: Eltern nehmen ihre Rechte auf Unterstützung nicht in Anspruch und laufen damit noch viel mehr Gefahr, Kindeswohlgefährdung unterstellt zu bekommen.

Daher ist der Austausch mit Gleichgesinnten sehr wichtig. Oft ist man mit seinen Geschichten und Erfahrungen nicht allein. In unserer Vereins-Familie ist niemand allein.

Die sogenannte Elternassistenz ist seit 2018 im SGB 9 festgeschrieben. Sie ist eine Form der Assistenz, die Menschen mit Behinderung in ihrer Elternschaft unterstützen soll.

Bei entsprechendem Bedarf haben alle Eltern einen Anspruch auf angemessene Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Pflichten (z.B. Entwicklungshilfen, Hilfen zur Erziehung). Dazu kommt der Teilhabebedarf von Menschen mit Behinderung, etwa zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und/oder zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

In Artikel 5 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK), der sich alle Vertragsstaaten verpflichtet haben, steht geschrieben, dass die Aufgaben, Rechte und Pflichten von Eltern geachtet werden müssen. Eltern die ihre Erziehungsaufgaben und -verantwortung wahrnehmen können, jedoch aufgrund einer Körper- oder Sinnesbeeinträchtigung einen Bedarf an Assistenz im Bezug auf das Kind haben (z.B. Vorlesen, Sprachtraining, Pflege und Versorgung des Kindes, Mobilität mit dem Kind), Beaufsichtigung des Kindes (z.B. im Schwimmbad oder auf dem Spielplatz), Unterstützung des Kindes (z.B. bei den Hausaufgaben), Kommunikation (z.B. mit Bildungs- und Erziehungseinrichtungen usw.) haben Anspruch auf Unterstützung.

Welchen Unterstützungsbedarf das betroffene Elternteil hat und wie hoch dieser ist, hängt nicht nur von der Beeinträchtigung, sondern auch von den individuellen Lebensumständen und weiteren Kontextfaktoren ab. Der Hilfebedarf ist durch die ständige Veränderung der Umstandsfaktoren, sowie der kindlichen Entwicklung, ständiger Veränderung unterworfen.
Das Ziel der Leistungserbringung ist die Stärkung elterlicher Kompetenzen, der Ausgleich von Beeinträchtigung und die Förderung einer gelingenden Eltern-Kind-Beziehung. Die Umsetzung soll unter folgenden Punkten realisiert werden:

Keine Trennung des Kindes von seinen Eltern allein aufgrund einer Beeinträchtigung der Eltern
Eltern mit Beeinträchtigungen dürfen aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht diskriminiert werden. Insbesondere ist eine Beeinträchtigung der Eltern allein kein Grund für eine Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt (vgl. Art. 23 Abs. 4 Satz 2 BRK). Eltern mit Beeinträchtigungen und ihre Kinder dürfen gegenüber Eltern ohne Beeinträchtigungen und deren Kindern nicht schlechter gestellt werden. Die Sorge, Pflege und Erziehung von Kindern im Haushalt der Eltern obliegt daher zuvörderst den Eltern mit und ohne Beeinträchtigung selbst (vgl. Art. 6 GG).

Selbstbestimmtes Wohnen und Unterstützung am Wohnort

Eltern mit Beeinträchtigungen müssen in der Lage sein, selbstbestimmt Entscheidungen über ihre Wohnsituation treffen zu dürfen. Das betrifft das Zusammenleben in einer Partnerschaft, das Zusammenleben in der Familie und die Entscheidung in einer eigenen Wohnung bzw. einer stationären Einrichtung zu leben.

Gerade Eltern mit Beeinträchtigungen sind meist auf ihr soziales Netzwerk und die damit einhergehende Unterstützung angewiesen. So sind wohnortnahe Leistungen im vertrauten sozialen, unterstützenden Umfeld von besonderer Bedeutung.

Inklusive und diskriminierungsfreie Leistungsgestaltung

Eltern mit Beeinträchtigung sollten die gleichen Möglichkeiten zur Hilfe und Gestaltung des Alltags zur Verfügung stehen, wie nicht-betroffenen Eltern. Dabei ist besonders die diskriminierungsfreie Ausgestaltung aller Leistungen wichtig. So sollten Eltern mit Beeinträchtigungen, so wenig wie möglich gezwungen sein, auf besondere, behinderungsspezifische Leistungen zurückzugreifen.

Beantragung der Elternassistenz

Die Eltern-Assistenz ist eine Leistung, die bei dem entsprechenden Rehabilitationsträger beantragt wird. Der Antrag kann mündlich oder schriftlich gestellt werden, wobei ein schriftlicher Antrag sicherer ist.
In den meisten Fällen zahlt der Träger der Eingliederungshilfe.

Es gibt jedoch noch weitere mögliche Leistungsträger:

  • die gesetzliche Krankenkasse
  • die gesetzliche Rentenversicherung
  • die gesetzliche Unfallversicherung

Wenn man nicht weiß, welcher Träger zuständig ist, kann der Antrag bei einem dieser Träger abgegeben werden. Die Träger stehen dann in der Pflicht den Antrag zu prüfen und an den zuständigen Träger weiterzuleiten. Dafür ist eine Frist von zwei Wochen festgelegt.

Der Antrag sollte bereits konkrete Eckdaten enthalten.

Diese Informationen sollten im formulierten Antrag enthalten sein:

  • Art der Behinderung bzw. chronischen Erkrankung
  • Art der benötigten Unterstützung für das Elternteil und die Kinder

Weiterhin sollten dem Antrag folgende Nachweise angehangen werden:

  • Nachweis der Beeinträchtigung (zum Beispiel Schwerbehindertenausweis, aktuelle ärztliche Atteste)
  • Nachweise der Vermögensverhältnisse (zum Beispiel Kontoauszüge, Sparbücher, Bausparverträge, Lebensversicherung)
  • Einkommensnachweise (zum Beispiel  Gehaltsnachweis, aktueller Rentenbescheid, Bescheid über Grundsicherung und so weiter)
  • Kindergeld-Bescheid

Als erstes prüft der zuständige Träger, welche und wie viel Unterstützung die Eltern tatsächlich benötigen (Bedarfsermittlung). Es kommt vor, dass der Träger dafür eine Mitarbeiterin bzw. einen Mitarbeiter in den Haushalt schickt, um sich mit den Umständen persönlich vertraut zu machen. In anderen Fällen werden die Antragsteller zu einem Gespräch eingeladen, in welchem man dann über die konkrete Familiensituation spricht.

Meist sind die Bescheide innerhalb einiger Wochen geprüft und werden postalisch zugesandt. In dem Schreiben des Rehabilitationsträgers muss stehen, ob und wie viel Unterstützung die Antragstellerin bzw. der Antragsteller bekommt, sowie eine Begründung.
Falls es zu einer Ablehnung kommt und man mit dem Bescheid nicht einverstanden ist, kann dagegen auch formlos Widerspruch eingelegt werden.

Wenn Kinder Fragen fragen

Es kommt die Zeit jedes Elternteils, da wünscht man sich anstatt des ständigen „Warums“ das putzige Rumgebrabbel zurück. Nun ist es aber soweit. Die Kleinen reden und das nicht zu wenig. Es ist ihre Welt, die sie auch am liebsten heute als morgen erobern würden. Das funktioniert aber nicht ganz ohne Unterstützung. Erwachsene müssen ihnen die Welt erklären und das am besten nicht zu knapp.

„Mama was ist das?“ - „Papa wie funktioniert das?“
Kinder blinder und sehbehinderter Eltern wachsen genauso auf wie alle anderen. Naja fast. Sie lernen von klein auf, dass Dinge auch funktionieren können und sogar müssen, selbst wenn die Augen nicht den Dienst leisten den sie sollten. Der Umgang mit gewissen Hilfsmitteln ist für sie ganz normal. So kann die Küchenwaage dann halt sprechen, grüßt und verabschiedet sich nach der Benutzung. Der Stock hilft bei den täglichen Gängen durch die Stadt und Lesen kann man nun einmal auch mit den Fingern. Es wird gekocht, der Haushalt gemacht und gemeinsam gelacht.
Innerhalb der Familie ist das normal, für Außenstehende meist nicht. In der Regel sind Fragen nicht böse gemeint, sondern lediglich der Überraschung und fehlender Erfahrung geschuldet. Erwachsenen sind Fragen die sich rund um das Thema Behinderung drehen oft merklich unangenehm. So kommt es oft dazu, dass sie zwar starren, doch nicht fragen. Kinder sind da anders. Sie sind laut und direkt. Hinter diesen Fragen steckt dann ungebremstes Interesse. Mit einem Lachen im Gesicht und unzähmbarer Energie kommt es dann immer wieder vor, dass sie zu anderen Menschen rennen und sie einfach Fragen. „Was ist denn das für ein Stock in deiner Hand?“ Auch das Rufen von Sätzen wie „Guck mal Mami eine Blinde!“ sind Klassiker, die viele blinde und sehbehinderte Personen schon miterleben durften. Meist reagieren Eltern darauf höchst erschrocken. Sielassen ihr Portemonnaie an der Bäckerstheke fallen oder ziehen sie schnell an sich heran. Es steht die Angst im Raum jemandem damit einfach zu nahe getreten zu sein.
Möglicherweise empfinden einige dies so. Im Regelfall gilt jedoch wie überall: Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm. Indem man Kinder der Möglichkeit beraubt ihre Fragen zu stellen und nur immer wieder erwidert: „Sowas sagt man nicht“, macht man aus einer anfänglich harmlosen Frage ein Tabu-Thema. Die Kinder lernen, dass Behinderung etwas Schlimmes ist über das es sich nicht gehört zu reden. Die weiteren Konsequenzen sind vielfältig: So sind Menschen mit Behinderungen immer anders. Man spricht nicht über sich oder seine Ängste und Fragen. Lieber behält man seine vermuteten und ungeprüften Einstellungen.

Wenn Ihr Kind Fragen hat, lassen Sie es seine Erfahrungen machen.

Was Sie als Eltern tun können: Ziehen sie das Kind nicht weg oder halten sie ihm oder ihr den Mund zu! Ermutigen Sie es zu fragen, zeigen Sie ihm bzw. ihr aber auch, dass blinde und sehbehinderte Menschen wie alle anderen sind. Sie können unter Zeitdruck stehen und auch unfreundlich reagieren.

Achten Sie auf den persönlichen Abstand, den man jeder Person zugestehen sollte und fassen Sie eine blinde bzw. sehbehinderte Person nie einfach so an. Versuchen Sie bei der Ansprache zu helfen: „Entschuldigen Sie, Dame mit der roten Jacke und dem Blindenstock, mein Kind hätte da eine Frage. Hätten Sie eine Sekunde Zeit?“

Fragen sind wichtig und ideal ist es, wenn die Antworten von Menschen kommen, die es auch selbst betrifft. Kinder und Erwachsene, alle sollten ihre Vermutungen regelmäßig überprüfen und bei Bedarf auch einfach fragen dürfen. Dafür gibt es uns – den ABSV.

Wenn ihr Fragen habt, wendet euch gern an uns! Wir freuen uns auf EUCH!

Mysteriöse Sichtweisen

Mythen, Märchen und Erzählungen haben eine jahrtausendealte Tradition. In vielen dieser oft so weit verbreiteten Geschichten geht es auch um Behinderungen, wobei die Blindheit am häufigsten erwähnt wird. Vermutlich haben schon die damaligen Autoren eher den Griff zu einer körperbehinderten Person gewagt, da diese Art der Behinderung sichtbare Aufmerksamkeit erregt. Man muss sie in der Regel nicht erklären. In den meisten Fällen wird das Thema jedoch recht negativ ausgelegt. So wird Blindheit als schlimmste Art der Strafe gesehen, durch die man für seine Sünden zu büßen hat. Diese muss der betroffenen Person nicht einmal bewusst sein. So habe sich Ödipus in der gleichnamigen Ödipus-Sage selbst die Augen ausgestochen, als er erfuhr, dass er seinen Vater unwissentlich getötet und seine Mutter geheiratet hatte. Ein anderes Mal haben die Charaktere etwas Unerlaubtes getan, also vielleicht etwas Verbotenes gesehen. Als Teiresias die Göttin Athene nackt gesehen hat, wird er als Strafe geblendet. Viele Menschen denken, dass blinde Personen durch ihren Sehverlust jedoch auch etwas Besonderes erlangen, sich die Sinne schärfen und man vielleicht auch Dinge erkennt die anderen verborgen bleiben. Möglicherweise ist der Ursprung dieser Gedanken auch geschichtlich begründet. Als Beispiel schenkt Athene dem nun blinden Teiresias die Fähigkeit die Sprache der Vögel zu verstehen. In anderen Geschichten und Überlieferungen haben Menschen mit Sehbehinderungen sogar magische Kräfte. Ihre Rollen sind daher nicht per se schlecht, jedoch immer ein wenig befremdlich. Sie sind anders als andere. Es gibt vieles was sich Kinder und auch Erwachsene nicht so einfach erklären können, wenn sie sich nicht näher mit dem Thema auseinandergesetzt haben. „Woher weiß die Person wo sie lang muss oder wo ihre Sachen liegen?“ Aristoteles, der bis heute oft zitierte und geachtete Philosoph, ging davon aus, dass blinde Menschen eine stärker ausgeprägte Gedächtniskraft hätten. Wie wir heute wissen, stimmt das natürlich nicht.

Da vielen Leuten das Verhalten fremdartig war, findet sich in der Literatur immer wieder, dass gerade blinde Menschen oft eine gewisse Listigkeit, Schlagfertigkeit und betrügerische Bettelei unterstellt wird. Vielleicht sind damit gar nicht unbedingt die blinden Menschen gemeint, sondern eher die Masche sich als blind auszugeben um sich Vorteile zu erhaschen. Robin Hood gelangt durch sein Schauspiel als blinder Bettler in die Burg und überlistete somit die Wachen. Er ist nicht der Bösewicht in der Geschichte, jedoch führt er Menschen hinters Licht um an seine Ziele zu kommen.

Der Inbegriff neuer Geschichten sind Comics. Auch hier finden sich aber Parallelen zu vorherrschenden Vorstellungen. Es kann sein, dass es dem geplanten Spannungsaufbau zu Gute kommt, aber für Comic Autoren scheint es zwei wesentliche Ursachen für Behinderungen zu geben. Entweder kommt es durch die Einwirkung unkontrollierbarer chemischer bzw. physikalischer Kräfte zur meist welterschütternden Wahrheit, dass man nun eine Behinderung hat und anders ist, oder man erlangt die Behinderung durch schicksalhafte Unglücksfälle. Es lässt sich festhalten, dass die Autoren kaum realistische Erklärungsversuche verwendet haben. Auch die Namen der Hauptfiguren verraten einiges über vorherrschende Klischees und verstärken sie gerade in den Köpfen von Kindern. Zwei populäre Beispiele sind die blinden Superhelden „Der Dämon“ und „Der Maulwurf“. Beide „Superhelden“ sind durch einen Unfall erblindet, wodurch sich in dessen Folge die verbliebenen bzw. zusätzlichen Sinne weiter zu Superheldenfähigkeiten entwickelt haben.

Eltern die in irgendeiner Art durch das Thema betroffen sind, sei es durch das Kind oder sie Selbst, meiden möglicherweise solche Geschichten. Zusätzlich zu den genannten Gründen, gibt es noch den Punkt der Endungen jener Geschichten. Der Prinz, welcher Rapunzel retten wollte und in die Dornen fiel, sticht sich die Augen aus und erblindet. Doch durch die Liebe kann er wieder sehen. So macht Liebe in vielen Erzählungen blind, heilt jedoch auch. Es gibt noch keine Heilung und für einige Kinder und Eltern ist es möglicherweise unnötig traurig zu lesen, dass es in Märchen möglich ist, sie aber in dieser Realität leben.

Natürlich formen sich die Einstellungen von Kindern nicht alleine durch Kinderliteratur. Es lässt sich jedoch sagen, dass ihr Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Durch das Lesen von Büchern lernen Kinder Regeln, fremde Welten und Ansichten kennen. Gerade in jungen Jahren sind sie noch von Natur aus neugierig und vorurteilsfrei. Wenn sie daher so ihre ersten Erfahrungen machen mit blinden und sehbehinderten Menschen verbauen wir uns möglicherweise die Chance die Kinder von morgen mit unserer anderen Art der Normalität vertraut zu machen.